Portrait von Herr Dr. med. Stefan Pilz als Titelbild für den Blogbeitrag

„Qualitätsmanagement hat zu wenig den Patienten im Blick.“

Dr. Stefan Pilz ist Leiter der Organisationsentwicklung und des Qualitätsmanagements (OE und QM) bei DR. FONTHEIM im niedersächsischen Liebenburg. Nach der klassischen Psychiatrieausbildung trat er 1998 eine Stelle als Stationsarzt in der Klinik an und übernahm schon früh den Bereich Qualitätsmanagement, den er in den Anfangsjahren quasi „nebenbei“ betreute. Heute ist Dr. Stefan Pilz nicht nur intern im Bereich OE und QM tätig, sondern berät freiberuflich andere Kliniken und Unternehmen im Bereich Strategie- und Organisationsentwicklung. Bei DR. FONTHEIM ist er für einen Großteil der Projekteinführungen zuständig.

In einem Interview stand uns Dr. Stefan Pilz Rede und Antwort zur Einführung und Arbeit mit roXtra im medizinischen Alltag, über die Ambivalenz von Qualitätsmanagement und Patientenbeziehung und gibt Einblicke, wie man Mitarbeiter motiviert.

Herr Dr. Pilz, was ist das Besondere an DR. FONTHEIM – Mentale Gesundheit?

DR. FONTHEIM ist ein privater Anbieter, aber eben nicht, wie man sich klassischerweise private Anbieter in der Psychiatrie vorstellt: Es handelt sich um ein Familienunternehmen und wird jetzt in der sechsten Generation von der Familie Fontheim geleitet. Im letzten Jahr hatten wir 140. Jubiläum und aktuell haben wir rund 760 Mitarbeiter.

Der größte Teil des Unternehmens ist die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie mit 280 Akutbetten und fünf tagesklinischen Plätzen am Standort Liebenburg. Dazu gibt es drei Tageskliniken: in Goslar, in Salzgitter-Bad und in Salzgitter-Thiede. Diese haben jeweils 20 Plätze. Neben der Klinik gibt es ein Psychiatrisches Pflegeheim, stationäre und ambulante Eingliederungshilfe, eine Psychiatrische Institutsambulanz und ein MVZ. Und wir sind als Pflichtversorger tätig: Innerhalb der Psychiatrie ist Deutschland in Regionen aufgeteilt, in denen die lokalen Kliniken für die Pflichtaufnahmen zuständig sind, wenn Menschen beispielsweise selbstgefährdend sind oder fremdaggressiv. Hier haben wir einen Versorgungsauftrag für den Bereich Goslar/ Salzgitter und einem Teil des Landkreises Wolfenbüttel.

Trotzdem haben wir fast 50% Patienten, die von überregional kommen. Und das heißt nicht nur Braunschweig, Hannover oder Göttingen, sondern aus ganz Deutschland. Das hat offensichtlich etwas mit der Qualität unserer Leistungen zu tun. Denn wenn man sich manche Bewertungsportale anschaut, sind wir schon viele Jahre unter den Top Ten, was die Regelversorgung angeht.

roXtra Dokumente kam im vorletzten Jahr bei Ihnen zum Einsatz. Wie kamen Sie darauf, dass es jetzt Zeit für eine Dokumentenlenkung wurde?

Wir hatten im Grunde schon ein „handgestricktes“ Dokumentensystem, das um die Jahrtausendwende aufgesetzt worden ist. Da haben wir das erste Mal systematisch unsere ganzen Dokumente durchgesehen, gegliedert und neu strukturiert. Und die waren dann in einem großen Windows-Verzeichnis abgelegt. Auch die Lenkung, die diese Dokumente hatten, war immer „handgemacht“.

Manche haben das benutzt, manche nicht. Und eine gründliche Bestandsaufnahme von allen Unternehmensbereichen hatten wir nicht. Alles in einem Dokumentenmanagementsystem an einer Stelle zu haben, das stand immer auf der Agenda, andere Digitalisierungsprojekte hatten aber zunächst Priorität. 2021 haben wir angefangen, ein DMS zu suchen und uns am Schluss für roXtra entschieden, das wir im Februar 2022 eingeführt haben. Im ersten Schritt haben wir in einem „Massenupload“ die 700 bestehenden Dokumente hochgeladen. Gleichzeitig haben wir diese erstmals prozessorientiert sortiert. Dazu haben alle diese Dokumente innerhalb des ersten Jahres gleichmäßig auf alle Monate verteilt den klassischen Workflow von roXtra durchlaufen – so haben wir eine Art Generalinventur unserer Dokumente durchgeführt.

Wie verändert die Arbeit mit roXtra den Alltag der Mitarbeitenden?

Wir wollen den Mitarbeitern beibringen, dass es im Grunde keine Abteilungen gibt, wenn es um den Patienten geht. Sondern dass sich alle entlang des Prozesses von Aufnahme, Diagnostik, Behandlung und Entlassung gruppieren. Ein Beispiel: Die Dokumente, die aus dem Bereich Finanz- oder Rechnungswesen kommen, wie zum Beispiel Leistungsvereinbarungen von Patienten, sind, solange sie klinisch relevant sind, in den Prozessen hinterlegt. Und wenn etwas mit dem Aufnahmeprozess zu tun hat und aus der Finanzabteilung kommt, dann liegt das im Ordner Aufnahme.

Dazu gibt es noch eine grafische Oberfläche beim Einstieg in die jeweiligen Prozesskapitel, damit man den großen Zusammenhang erkennen kann. Wir hatten die Idee, dass wir mit diesen grafischen Prozessbildern die Leute locken. Aber unsere Erfahrung ist eher, dass die Suche in roXtra so potent ist, dass die Mitarbeitenden über die Suche gehen und sich nicht durch die Navigation klicken.

Die Navigation ist v.a. beim Onboarding sinnvoll: wenn Mitarbeitende neu auf Station anfangen und sich orientieren möchten, wie denn das Unternehmen aufgebaut ist. Das sieht man jetzt auf einen Blick. Und die Hoffnung war oder ist, dass man dadurch auch ein anderes Verständnis für das Gesamtunternehmen bekommt.

Auf was kommt es denn bei DR. FONTHEIM an und was ist Ihnen wichtig, gerade wenn Sie von der Qualitätssicherung oder Qualitätsentwicklung sprechen?

Ich habe es schon angedeutet: Ich bin nicht der klassische QM-ler, der so stark regelorientiert Normen zu unterstützen und diese ins Unternehmen zu übersetzen versucht, sondern ging immer eher der Frage nach: „Wie können wir uns zusammensetzen und zusammen neue Dinge mit allen entwickeln, die von dieser Entwicklung betroffen sind?“ Insofern wir haben sicherlich einen Schwerpunkt auf Organisationsentwicklung. Jetzt nimmt die Regelungsdichte immer weiter zu. Man muss auf der Qualitätssicherungsseite immer mehr nachweisen. Um da die Balance zu finden, hilft roXtra; wir können damit einfach systematischer alle Bereiche abfragen.

Welche Herausforderungen hat das QM im sozialen Bereich, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht?

QM hat bis heute – selbst wenn es prozessorientiert ist – zu wenig den Patienten im Blick. Auf die Frage „Wie würde ein Krankenhaus ideal funktionieren, wenn der Patient bestimmen würde, wie es geht?“, würde es immer noch eine Tendenz zu der Antwort geben: “Das Krankenhaus funktioniert dann am besten, wenn der Patient gar nicht da ist. Der priorisiert einfach anders als eine Organisation, die irgendwie laufen muss.“ Und das finde ich bisher auch in keinem Handbuch richtig ausführlich berücksichtigt. Und das zweite ist – da streite ich mich dann auch immer mit den klassischen QM-lern – ich kenne noch kein Handbuch, das eine Kennzahl für Beziehungsqualität liefert: Sie können alle möglichen Prozesse in Kennzahlen abbilden. Das ist auch manchmal wichtig, manchmal aber auch übertrieben. Aber in der Psychiatrie ist man einfach beziehungsabhängig: Wenn die Beziehung zwischen Arzt, Patient und Pflege nicht rund läuft, können sie keine Therapie machen. Das gleiche gilt aber für mich auch fürs QM: Wenn die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern nicht sauber funktionieren, dann können keine Entwicklungen angestoßen und auch keine gute Risiko- und Fehlerkultur einführt werden. Wir legen immer mehr Wert darauf, dass die Beziehungen funktionieren und dann das QM dazukommt und nicht umgekehrt.

Damit die Beziehung sauber funktioniert: Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Durch Beteiligung. Ein Beispiel: Vor 10, 15 Jahren haben wir das gerontopsychiatrische Zentrum aufgebaut. Zuvor gab es eine Mischbelegung, dann haben wir mit der Spezialisierung angefangen und ein Haus mit drei Stationen so eingerichtet, dass nur noch dort Patienten über 65 Jahren behandelt werden. Wenn alle Prozesse neu aufgesetzt werden und das Haus umgebaut wird, funktioniert das nur, wenn die Mitarbeiter beteiligt werden: Wir haben insgesamt 172 Vorschläge von Pflegekräften berücksichtigt bis hin zu den Fragen „Wie viele Haltegriffe sind an einem Waschbecken notwendig?“ und „Welches Lichtkonzept ist sinnvoll?“.

Vielen Dank für das Gespräch!


Bildnachweis:

Titelbild: Yvonne Most | weitere Bilder: DR. FONTHEIM